Old School
- Originaltitel:
- The Sunshine Cruise Company
- Autor:
- John Niven
- Genre:
- Thriller
- Umfang:
- 400
- Release:
- 09.11.2015
- Verlag:
- Heyne Hardcore
John Niven wurde bei uns schon oftmals rezensiert, obwohl keines seiner Bücher wirklich dem Horrorgenre zugeordnet werden kann. Die unterschiedlichen Geschichten von Road Trips mit Jesus, tödlichen Golfbekanntschaften und harten Rachegeschichten sind aber dennoch so makaber und bissig, dass wir Nivens Werke getrost in unsere Bücherecke aufnehmen können.
Die enorme Bandbreite an Themen und Stilen, die er vertritt, wird mit seinem neuesten Buch Old School nochmals erweitert. Keines seiner Bücher setzt seinen Fokus so stark auf schwarzen Humor wie dieses, und anstatt um dubiose Männer mit Alkohol- oder Gewaltproblemen dreht es sich hier um verzweifelte Frauen im besten Alter. Die vier Damen, darunter eine betrogene Ehefrau, eine trinkende Nymphomanin im Rollstuhl und zwei am finanziellen Abgrund stehende Biedermeierrinnen, beschliessen, eine Bank zu überfallen. Trotz einiger Probleme klappt das sogar. Von der Polizei aber identifiziert, müssen die Frauen ausser Landes flüchten.
Die Geschichte ist nicht unbedingt neu, es gibt kaum große Wendungen und die Rahmenhandlung bleibt simpel. Nivens Absicht ist es vielmehr, konkrete Situationen mit unzähligen Details auszuschmücken und genauestens zu beschreiben. Nicht selten finden Haupt- und Nebendarsteller durchlebte Szenen nach einigen Tagen als Youtube-Hits im Internet wieder. Niven schreibt drehbuchähnliche Kapitel, die ähnlich wie virale Videos so absurd und komisch sind, dass man über mehrere Seiten nicht mehr aus dem Grinsen herauskommt.
Abends sitzen wir alle in einem Berliner Kellerlokal und hören Niven zu, der das Kapitel über den Banküberfall der Damen und ihrem Komplizen vorliest. Aus allen Perspektiven beschreibt er, wie der schlampige Plan auf wundersame Weise aufgeht. Nails, der gebrechliche Fluchtfahrer, murmelt sich selbst zu, was für ein cooler und eiswürfelpinkelnder Yeti er eigentlich ist, erleidet ob der Hitze aber einen Schlaganfall. Die Frauen stürmen die Bank, wissen aber nicht mit ihren Waffen umzugehen. Nur Ethel, die im Rollstuhl sitzt und mit ihrer Flinte die Kameras zerschiesst, bringt ihre Freundinnen wieder zusammen, wird aber von einem Polizisten wiedererkannt, der den Sticker „Kein Schwanz ist so hart wie das Leben“ auf ihrem Rollstuhl schon einmal gesehen hat. Die Freundinnen schnappen sich mit Mühe und Not das Geld – wie sich herausstellt, mehrere Millionen Pfund – und rennen zu dem führerlosen Auto. Währenddessen holt sich Nails ein Softeis, wird aber von den Polizisten angesprochen. Einem Panikschub ausgesetzt, erinnert er sich wieder, haut dem Polizisten das Eis ins Gesicht und versucht zu rennen, bricht letztlich im gehetzten Gang aber nur durch eine Schaufensterscheibe und wird ohnmächtig. Die Polizisten rennen nun dem Auto hinterher, sie merken, dass etwas nicht stimmt. Doch wird einer der beiden von dem Greifer der Dame im Rollstuhl im Schritt gepackt und ist gezwungen, so mit dem immer schneller werdenden Auto mitzuhalten, während der andere Verstärkung ruft. Endlich lockert Ethel den Griff um die Hoden des Polizisten, der, völlig erschöpft, in einen anderen Wagen läuft und durch die Scheibe fliegt.
Die Szene, ihrer selbst sicherlich unwürdig herunter gebrochen, markiert den Wendepunkt des Buches – ab hier geht es los. Manchmal ist die Handlung abstrus, dann wieder ernst. Es macht in jedem Fall Spaß, den etwas überzeichneten Mädels zu folgen, wie sie von braven, unglücklichen Hausfrauen zu emanzipierten Gangsterinnen werden. Die Handlung beginnt in Südengland und endet in Marseille, und man möchte das Buch gar nicht aus der Hand legen, ehe die Frauen und ihre immer von Pech und Dilettantismus geplagten Verfolger am Ziel angekommen sind.
Manchmal wirft Niven mit Klischees nur so um sich, dann verliert seine Geschichte etwas an Charme. Doch das bleibt glücklicherweise die Ausnahme. Einige kleine Kritikpunkte lassen sich äussern, beispielsweise wird die Spannungskurve nicht immer perfekt gehalten und einige Kapitel wie Charaktere werden etwas lustlos beschrieben, hätten meines Erachtens besser ausgearbeitet oder ganz weggelassen werden sollen.
Nichtsdestotrotz kann man Nivens neues Werk jedem Thrillerfan mit dem Hang zur bissigen Komödie empfehlen, einige Szenen und Charaktere reichen schon alleine aus, um das Buch zu lesen. Der drehbuchartige Stil und die Situationskomik machen Old School zu einem sehr kurzweiligen und entspannten Thriller – nicht nur für ältere Damen!
Niven macht einen rastlosen Eindruck, ist etwas zappelig auf der Bühne, trinkt Wein und Wasser gleichermassen schnell und fängt laut an zu lachen, als er den Banküberfall vorliest. „I usually don´t laugh at my own work“ behauptet er mit schwerem schottischen Akzent – missachtet aber, dass seine Arbeit sich von Buch zu Buch stark verändert. Als Fragen gestellt werden dürfen und sich keiner meldet, holt er sein Handy hervor und liest Twittereinträge seiner Follower vor. „Where do you take the ideas for your novels from?“, lautet der erste Eintrag. Niven rümpft die Nase und lässt sich in den Stuhl zurücksinken. „Man. I hate that fucking question!“