Piercing

Originaltitel:
Piercing
Autor:
Ryu Murakami
Genre:
Psychothriller
Umfang:
174 Seiten
Release:
Februar 2009
Verlag:
Verlagsbuchhandlung Liebeskind

Japanische Horrorfilme wie „Ring“ (1998) oder „The Grudge“ (2004) bieten eine gute Alternative zu amerikanischen Konsorten. Der Horror ist eigen, heftig und von einer anderen Mentalität geprägt. Wie sieht es im literarischen Bereich aus?
Ryu Murakami, der auch Filme inszeniert, schreibt seit vielen Jahren Romane. Piercing erschien in Japan schon 1994, hat aber von seiner starken Wirkung nichts verloren.

Einen Grafikdesigner in Tokyo überkommt plötzlich das Verlangen, seine neugeborene Tochter mit einem Eispickel zu erstechen. Er entzieht sich seiner Familie und taucht in einem Hotel unter, um dort eine Prostituierte zu ermorden. Der Drang soll damit verschoben werden. Doch die Prostituierte, die ihn aufsucht, hat eine ebenso düstere Vergangenheit und Triebe wie er.

Es wird nicht nur das Aufeinandertreffen beider Charaktere beschrieben. Die Erlebnisse, die sie zu denen gemacht haben, die sie sind, werden ausführlich erläutert. Es sind Dämonen, wie die Mutter des Protagonisten, die diesen Psychothriller so verstörend machen. Bis hin zu dem Kammerspiel, in dem der Verrückte eine psychopathische Frau umbringen will, hat man alles Narben und Verletzungen der beiden erfahren, weiss, warum sie so kaputt sind.

Den Roman als Psychothriller zu beschreiben reicht nicht aus; Die blutigen Schilderungen reichen ohne Mühe an gekonnte Splattergeschichten heran. Wirklich verstörend ist zudem der Terror. Die Szenen, in denen die Charaktere an sich selbst zugrunde gehen und von ihren eigenen Geistern verfolgt werden, sind die stärksten des Buches. Anders als in Filmen wie „Texas Chainsaw Massacre“ (1974) wird dieser Terror nicht von anderen Personen heraufbeschworen, sondern ist nur ein Hirngespinst in den Köpfen der Hauptpersonen. Dieser Kunstgriff funktioniert erschreckend gut und bestätigt das Urteil des Guardians, es hier mit der „japanischen Version eines David-Lynch-Albtraums“ zu haben.

Wer nun ein Problem mit japanischen Horrorfilmen oder David Lynch hat, sollte aber nicht abgeschreckt sein. Meiner Meinung nach sind diese Horrorfilme oft etwas unnahbar, man kommt dort nur sehr schwer an die Charaktere heran. Das ist hier nicht der Fall, da die Protagonisten mit ihrer ganzen Gedankenwelt beschrieben werden – die beiden Psychopathen sind dem Leser durchaus sympathisch. David Lynch ist zudem sehr kompliziert, nicht immer gut zu verstehen. Auch das ist hier nicht der Fall. Piercing ist sehr knapp geschrieben, der Verlauf ist straff und der Handlung zu folgen stellt kein Problem dar.

Ein wenig Gesellschaftskritik, viel Blut und sehr viel psychischer Terror. Piercing ist brutal, sehr kalt beschrieben und dennoch atmosphärisch und gefühlvoll. Die Härte eines japanischen Horrorfilms wurde hier gekonnt in ein Buch gebannt und mit psychologischen, dramatischen und erotischen Elementen verstärkt. Sicherlich kein klassischer Horrorroman, nicht ermunternd, dafür ziemlich hart, mit zwei sympathischen Verrückten, die ihrem eigenen Verderben entgegen fiebern.
Ein besonderer Psychothriller!